Situativ Führen – Das Reifegradmodell

„Ach die Sonja, die fliegt von alleine, um die muss ich mich gar nicht mehr kümmern.“

 

Aber stimmt das auch? In jeder Situation? Wohl eher nicht!

 

Heute erzähle ich Dir von einem Modell, dass Dir beim Thema Mitarbeiterführung sehr hilfreich sein kann. Das Reifegradmodell von Hersey und Blanchard ist nicht nur nützlich, sondern auch noch ziemlich einfach und gut zu verstehen!

Das Reifegradmodell nach Hersey und Blanchard

Dieses Modell ist schon in den 1970er Jahren entstanden und beschreibt vier typische Reifegrade von Mitarbeiter:innen jeweils in Bezug auf eine konkrete Aufgabe. Je nach Reifegrad sollte sich der Führungsstil unterscheiden, mit dem die Aufgabe übertragen wird.

Genau hier ist auch schon zu erkennen, was in dem oben genannten Zitat so gefährlich ist: Es unterstellt, das „Sonja“ alle Aufgaben problemlos ganz alleine bewältigen kann und keine Unterstützung durch ihre Führungskraft braucht. Tatsächlich ist das aber in der Regel eher nicht der Fall. Nur weil Sonja eine tolle Verkäuferin ist, muss sie nicht auch eine tolle Projektmanagerin sein. Sonjas Führungskraft könnte also durchaus die Erfahrung gemacht haben, dass Sonja in ihrem Vertriebsalltag „von alleine fliegt“, weil sie alle dort anfallenden Aufgaben im Schlaf beherrscht. Aber nun soll Sonja ihr erste Projekt leiten. Sie ist vielleicht sogar hochmotiviert, hat aber leider noch überhaupt keine Erfahrung mit den Aufgaben einer Projektleiterin. Gewohnt erfolgreich zu sein, legt sie möglicherweise direkt los – und mit einiger Wahrscheinlichkeit versemmelt sie das Projekt.

Gucken wir uns doch mal die vier Reifegrade an. Damit sich unter den beschriebenen Situationen jeder etwas vorstellen kann, nehme ich dafür ein Beispiel aus dem privaten Bereich. Ein Kind lernt schwimmen.

Reifegrad R1 – Starke Motivation und schwache Fähigkeiten

Papa ist mit seiner Tochter am Strand. Die Sonne scheint, das Wasser ist warm und eine Abkühlung wäre cool. Außerdem will die Kleine keine Schwimmflügel tragen. „Die sind für Babys und ich bin schon groß!“ Also soll sie Schwimmen lernen.

Was sie jetzt braucht ist eine sehr enge Führung durch ihren Papa. Papa muss ihr Halt geben. Muss ihr zeigen, wie sie ihre Arme und Beine bewegen muss und erklärt auch sicher, dass das Meer nach hinten hin immer tiefer wird und dass sie deshalb vorne an, auf der Sandbank nahe am Ufer üben.

Motiviert ist sie schon. Vielleicht sogar etwas übermütig. Also muss Papa sie immer wieder daran erinnern im flachen Wasser zu bleiben.

Auf das Geschäftsleben übertragen bedeutet das: Klare Anweisungen, kleine Schritte und viel Anleitung und Überprüfung der Ergebnisse in relativ kurzen Abständen.

Reifegrad R2 – Schwache Motivation und schwache Fähigkeiten

Nach einer Weile hat die Tochter schon einiges an Salzwasser geschluckt und merkt, dass Schwimmen ganz schön schwierig ist. Die Motivation sinkt. Das Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten auch.

Jetzt ist es wichtig, dass der Papa ihr gut zuredet. Sie davon überzeugt, durchzuhalten und nicht aufzugeben und mit viel Lob auch kleine Erfolge feiert. Toll! Du hast schon 3 Züge geschafft!

Auch im Büroalltag werden die Schritte etwas größer, aber da die Fähigkeiten immer noch schwach ausgeprägt sind, sollten Zwischenergebnisse immer noch regelmäßig überprüft und besprochen werden. Wichtig in dieser Phase ist viel Lob und dosierte Kritik, damit sich kein dauerhafter Frust einstellt.

Reifegrad R3 – schwache Motivation und starke Fähigkeiten

Das Mädchen schwimmt immer besser. Sie kann schon eine längere Strecke schwimmen, schluckt aber dennoch immer mal wieder Wasser oder wird von einer Welle überrascht. Eigentlich könnte sie zwischen Ufer und erster Sandbank gefahrlos alleine schwimmen. Sie kann dort überall stehen und es würde völlig reichen, wenn der Papa sie vom Ufer aus beobachtet. Sie traut sich aber noch nicht. Deshalb soll der Papa immer mit ins Wasser. Weil er in dem seichten Wasser aber gar nicht richtig schwimmen kann, friert er und will gar nicht immer mit rein. Also spricht er ihr Mut zu. Geht erst mit rein und zieht sich nach und nach aus dem 

Wasser ans Ufer zurück.

Genauso ist es im Büro. Auch hier werden die Fähigkeiten immer besser, aber das Zutrauen in die eigenen Möglichkeiten wächst noch nicht im selben Maße. Allerdings kann und will die Führungskraft auch nicht auf Dauer so eng führen, wie in R1 und R2. Deshalb werden nach und nach die Aufgabenpakete größer. Es wird weiterhin viel gelobt und seltener überprüft. So gewöhnt sich Dein:e Mitarbeiter:in nach und nach daran, selbständiger zu handeln.

Reifegrad R4 – starke Motivation und starke Fähigkeiten

Endlich hat die Kleine realisiert, dass sie alleine Schwimmen kann. Sie kommt mit den kleinen Wellen bei gutem Wetter super klar und darf tatsächlich alleine im Meer spielen und schwimmen, solange sie vor der Sandbank bleibt. Papa behält sie aus der Ferne im Blick, hat aber das Vertrauen gewonnen, dass sie sich innerhalb der abgesprochenen Spielregeln sicher bewegt und nicht mehr jede Sekunde beobachtet werden muss.

Dein:e Mitarbeiter:in bekommt ihre Aufgabe in diesem Reifegrad ebenfalls vollständig delegiert. Du wirst maximal über die Ergebnisse informiert. In die Umsetzung an sich mischst Du Dich in keine Weise ein.

Geschafft! Endlich muss ich mich nicht mehr kümmern!

Ist das so? Behalte immer im Hinterkopf: Diese Reifegrade beziehen sich immer auf eine konkrete Aufgabe in Bezug auf eine konkrete Person. Wenn morgen viel Wind ist und die Wellen viel höher, als bisher, dann kann die Kleine nicht ohne ihren Papa ins Wasser gehen! In Bezug auf die Aufgabe „Schwimmen in großen Wellen“ ist sie zunächst wieder im Reifegrad R1. Hoch motiviert, aber leider noch nicht in der Lage, die Situation alleine zu meistern. Dazu braucht es wieder viel Führung und viel Übung. Das ist im Büroalltag ganz genauso.


Tipp

Du kannst dieses situative Führen anhand des Reifegradmodells sehr gut mit dem Delegation Board aus meinem Blogbeitrag von neulich kombinieren. Das Delegation Board hilft, sich auf die richtige Dosierung von Delegation zu verständigen.


Manchmal ist es ganz schön schwierig im Team den Überblick darüber zu behalten, welche Fähigkeiten gebraucht werden und welche vorhanden sind. Im nächsten Artikel bekommst Du einen passenden Workhack dazu.

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